Es ist nicht schizophren …

… wenn ich Gefühl und Verstand teile. Das muss ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, wenn ich an Tagen wie diesen das dumpfe Gefühl von „Ich will das alles nicht mehr“ bekomme.

Mein heller und wacher Verstand war schon immer mein Lebensretter. Er hat mich als Kind schon davor bewahrt, mich endgültig in den Wahnsinn zu flüchten und er hat mir oft genug geholfen, wieder aus den tiefen Löchern der schwarzen Emotionen zu kommen.

In den schwierigen Zeiten von Angriffen aus gefühlt allen Richtungen fühlt sich die Seele einsam und klein. Sie stellt alles in Frage, was vorher noch Bedeutung hatte. Und sie findet keine Antwort. Das ist der Moment, in dem ich manchmal glaube, ich wäre zu zweit in mir. Was im Übrigen niemals tatsächlich diagnostisch bestätigt werden konnte. Denn im schlimmsten Tief übernimmt der klare und deutliche Verstand die Regie, um das Überleben zu sichern.

Ich dränge das Trauma aus vielen Jahren und ständigen Wiederholungen bis ins Erwachsenenalter an die Seite und übernehme mit der Auflistung der Erfahrungen die Führung. Die schweren Emotionen werden keineswegs verdrängt, sondern nur beiseite geschubst, um nicht die Herrschaft zu bekommen. Der Verstand sorgt für die notwendige Aktivität und die Einholung von Rat und Tat. Das fühlt sich an, als wäre da ein bekannter und doch völlig anderer Mensch am Werke.

In der Arbeit mit dem „inneren Kind“ habe ich diesen Menschen in mir als den tatsächlich Erwachsenen kennen gelernt. Das überaus traurige und emotional überlastete und zurückgezogene Wesen bin ich als das Kind, das aus seinem Trauma nicht herausfindet. Es braucht eine Hand, die es führt und hält. Das hat nichts mit einer Spaltung der Persönlichkeit zu tun, das ist schlichtweg Traumaarbeit. Und in emotional problematischen Situationen wird diese Arbeit enorm wichtig.

Schwierig ist es nur, dann auch an diesen Punkt zu kommen, an dem die Teilung stattfinden kann. Denn im Normalfalle bin ich ein authentischer und eben aus beiden Typen zusammengesetzter Mensch. Es hält sich im normalen Leben alles die Waage und die gegenseitige Einflussnahme läuft automatisch und unbemerkt.

Manchmal erkenne ich an meinen Beiträgen, welcher Teil von mir da geschrieben hat. Ich denke, gerade bei den jetzt noch sichtbaren Beiträgen hier im Blog wird deutlich, was ich meine. Heute bin ich wieder ruhig und ausgeglichen, mein Erwachsener hat die Führung übernommen. Er hält, bildlich gesprochen, den Kleinen an der Hand und führt ihn durch das Dunkel in Richtung Licht. Die Angst ist weniger geworden und das Zittern hat aufgehört.

In diesen Modus hat mich gestern Abend ein Gespräch mit einem Psychologen geführt. Ich habe das Gespräch gesucht und über meine Gefühle sehr deutlich gesprochen. Binnen Minuten war ich während des Gespräches sehr nah am Grund des tiefsten Loches angekommen und zitterte so sehr, dass ich kaum den Telefonhörer halten konnte. Doch dann begann der Aufstieg und es war wie ein Steilflug nach oben ins Licht. Ein Schalter wurde in mir umgelegt und der Führungswechsel eingeleitet. Und hier bin ich wieder, mit der Überzeugung, mir kann nichts geschehen, was mich zerstört.

Wer sich gern einmal mit dem Thema „Inneres Kind“ beschäftigen möchte, der findet im Buchhandel reichlich Lektüre. Allerdings rate ich dringend zur Vorsicht, ohne eine kompetente Führung kann das schlimme Störungen verursachen! Schließlich wird da im Schlamm der kindlichen Vergangenheit gewühlt und das kann sehr schmerzhaft werden. Hier ist eine fachliche Begleitung unbedingt notwendig, zumindest am Anfang. Das gilt übrigens meines Erachtens für alle tiefenpsychologisch wirksamen Selbsthilfebücher. Es ist leichtsinnig, sich selbst heilen zu wollen, wenn es um die Seele geht.

Also denn, schreibt mal einen Brief als Euer inneres Kind. Stellt Euch Euch selbst als kleines Mädchen oder kleinen Jungen vor und nehmt ein weißes Blatt Papier vor Euch. Schreibt mit der Hand, die Ihr sonst nicht zum Schreiben benutzt. Und schreibt an die oder den Großen in Euch. Klingt wie Blödsinn? Wartet es ab! Legt den kleinen Brief beiseite und schaut ihn Euch erst am anderen Tag oder am Abend an.

Viel Erfolg.

3 Gedanken zu „Es ist nicht schizophren …“

  1. Das Buch kenne ich nicht und auch nicht den schwarzen Hund. Ich bin allerdings auch Selbsthilfebüchern gegenüber sehr skeptisch. In einem anderen Blog habe ich kürzlich die folgende Geschichte aus dem NLP dazu kommentiert:

    Ein Mann bemerkte eines Tages, dass er nicht mehr richtig sehen konnte. Er befragte einen Freund, was er dagegen tun könne, um wieder so zu sehen, wie er es früher einmal konnte.

    Der Freund dachte nach, nahm seine Brille von der Nase und überreichte sie ihm mit den Worten “Ich hatte auch einmal Dein Problem. Diese Brille hat mir gut geholfen und das sollte sie Dir auch.”

    Der Mann setzte die Brille auf und blickte sich verstört um. Er sah noch schlechter als zuvor und wurde ärgerlich. Wie konnte er nur so dumm sein und auf den Rat seines Freundes hören …

    So ist das mit den Ratschlägen. Sie sind gut gemeint, weil sie Jemandem geholfen haben. Doch ganz selten passen sie ebenso auch zum Problem des Nächsten. Die Weisheit ist es, dem Ratsuchenden die Freiheit zu lassen, sein Problem selbst zu lösen. Und weise ist es auch, als Ratsuchender nicht jeden Rat als die einzig mögliche Lösung anzusehen. Aus diesem Grunde bin ich vorsichtig mit Ratgebern als Buch. Sie können nicht auf meine eigene Situation reagieren, denn der Autor wusste nicht, was ich habe und was ich wissen will. Er muss sich in Allgemeinplätzen ergehen, um möglichst vielen Lesern einen winzigen Anstoß zu geben.

  2. Ich bin sehr beeindruckt von dir und deiner Offenheit, was deine Gefühle betreffen. Und sie machen verdammt nachdenklich.

    Ich denke das jeder von uns das kleine Kind in sich trägt, egal ob es jetzt verängstigt oder lachend durchs Leben geht.

    Keine schlechte Idee, mit dem Brief. Werde ich mal ausprobieren.

    Bücher über das kleine Kind? Gibt es das tatsächlich in dieser Form?
    Ich kenne nur das mit dem schwarzen Hund. Kennst du das auch?

    Liebe Grüße
    Roswitha

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