Nr. 27
Meine Socken passen nicht zueinander. Ein Hosenbein ist kürzer als das Andere. Meine Brille ist kaputt und mit Pflaster geklebt. Ich habe immer ein Taschentuch bei mir, weil mir aus dem rechten Mundwinkel der Speichel rausläuft. Meine Hose, ja mein Hose ist braun. Aber zumindest ist sie sauber. Bis auf die Flecken vom Essen gestern und vom Hund. Ich trage Schuhe, die schon tausendmal geklebt sind und noch immer nicht halten wollen. Die Haare trage ich offen, wie ich immer sage. Vielleicht hätte ich sie vor ein paar Monaten doch mal schneiden lassen sollen. Als mir diese Nette junge Dame das angeboten hat. Aber ich habe mich geschämt, weil mein Hemdkragen nicht sauber ist. Das Wäschewaschen ist immer ein schrecklich mühsamer Akt. Und soviel Wäsche zum Wechseln habe ich ja schon lange nicht mehr. Ich mag sie nicht mehr ewig trocknen lassen und dann ist sie doch nach ein paar Stunden verschwunden. Manchmal finde ich sie nach dem Waschen auch garnicht wieder. So, wie ich viele Dinge verliere. Manchmal verlaufe ich mich auch, aber ich habe ja Zeit. Hauptsache, ich finde meinen Schlafplatz wieder. Die meisten Menschen ignorieren mich. Aber ich spreche auch schon lange niemanden mehr an. Ich bin lieber für mich.
Die Anderen mag ich nicht und ich gehe ihnen aus dem Weg. Ich mag sie nicht, weil sie den ganzen Tag nur tratschen, rauchen und oft genug saufen. Mir fehlt der Umgang mit jungen, frischen und sauberen Menschen. Ich schaue ihnen gern im Park zu, wie sie miteinander schmusen und lachend auf den Wiesen spielen. Ich mag die hübschen jungen Mädels und die kräftigen Kerle. Dann sitze ich auf einer Bank, ganz allein. Denn neben mich will sich nie jemand setzen. Ich bin allein, auch wenn viele Menschen um mich sind. Und doch ist es in Ordnung. Ich glaube, ich sehe merkwürdig aus. Immer wieder schnuppere ich an meiner alten Lieblingsjacke, ob sie schon seltsam riecht. Aber mein Geruchssinn ist ohnehin schon fast verschwunden. Und eigentlich ist es auch egal. Mein Leben liegt hinter mir und die jungen Leute dort auf der Wiese haben es noch vor sich. Warum sollten sie auch nur einen Gedanken an mich verschwenden? Schließlich studieren sie oder arbeiten, um mich zu ernähren.
Irgendwie hätte ich es gern anders gehabt. Ich wäre gern ein wenig besser gekleidet und würde gern irgendwo in einem netten Café sitzen und italienisches Eis essen. Vielleicht würde ich dann eine schöne Brille tragen und eine Krawatte. Ich wäre gut frisiert und würde nach Rasierwasser duften. Meine Socken würden zueinander passen. Und ich könnte von meinen vielen Lebenserfahrungen berichten. Welch ein Traum. Doch es wird langsam kalt. Ich quäle mich steif von der Bank hoch und gehe ich dann zurück zu meinem Schlafplatz. Denn anders kann ich mein kleines Zimmer im Altenheim "Sonnenschein" nicht nennen.
(c) CeKaDo 2006