Himmelspost

Nr. 26

Liebe Mami,
wie geht es Dir? Mir geht es gut. Ich schreibe Dir diesen Brief, auch wenn ich nicht weiß, ob man im Himmel Briefe lesen kann. Die Frauen hier im Heim sagen, daß Du nicht im Himmel bist, sondern in der Erde. Aber das glaube ich nicht. Ich habe hier schon eine Freundin gefunden. Die heißt Nera. Nera ist schon 12 und ist schon vier Jahre hier. Vielleicht darf sie bald in eine Familie, hat sie gesagt. Bei mir wird das noch sehr sehr lange dauern meinte sie. Weil ich den Doktoren hier nicht sagen will, was ich denke. Du hast mir ja mal gesagt, ich soll schön still sein, wenn mich fremde Leute ausfragen wollen, wie es bei uns zuhause ist.

Nera hat gesagt, sie wäre ein böses Kind gewesen. So wie ich. Ich weiß nicht, ob ich böse bin. Manchmal habe ich böse Gedanken und böse Träume. So wie diesen Tag, als Du in den Himmel gekommen bist. Da warst Du den ganzen Tag schon gemein zu mir. Ich habe Dich angeschrien und ich hasse Dich und sowas gesagt. Und dann hast Du mich gehauen. Ganz doll. Du hast mir ganz gemein wehgetan. Ich bin jetzt schon wieder total wütend, weil ich glaube, daß Du mich garnicht mehr lieb hast. Wie Du dann Fenster geputzt hast, warst Du wieder so fies zu mir. Hast mit mir geschimpft, bloß weil ich die Schere in die Kissen gepiekt habe. Und dann habe ich Dich gepiekt. Nur so ein bißchen und nur so aus Wut. Weil Du so gemein zu mir warst.

Was kann ich denn dafür, wenn Du losläßt. Aber Du hast mich ganz schön erschrocken, wo Du da unten gelegen hast. Jetzt gibt es Mittagessen und das mag ich nicht. Den Nachtisch mag ich gern. Irgendwas mit Pudding. Vor dem Nachmittag habe ich Angst. Da machen mich die Schwestern und die Doktors immer wütend. Heute habe ich vielleicht ein bißchen weniger Angst. Nera hat mir nämlich ihre Schere ausgeliehen. Ich muß Schluß´machen. Hab Dich lieb und bis bald

deine Svenja

(c) CeKaDo 2006
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