Ich habe gestern Abend gemerkt …

… dass ich nicht geheilt bin. Vielleicht sollte ich mal aufhören, mich als gesund zu bezeichnen. Diese Krankheit werde ich mein Leben lang nicht los, das haben mir die Ärzte schließlich auch gesagt.

Manchmal jedoch, wenn ich zum Hoffnungsträger und Vorbild der Depressiven mutiere, denke ich „JA! Du hast es geschafft!“ Doch das ist ein Trugschluss.

Ich lebe zwar ohne Medikamente und ohne Beeinträchtigung meines sozialen und Arbeitslebens, doch der Schatten ist immer da. Und in den Momenten, in denen er wieder tiefschwarz und schwer wird, stelle ich alles in Frage, was bisher einen Sinn ergab. Wenn dann die Antworten fehlen, wird mir bewusst, dass es unheilbar ist.

Meine einzige Chance, aus diesen Löchern dann heraus zu finden, ist aktiv zu werden. Auch wenn die Lähmung anderes will, wenn kein Loch klein genug sein kann, um sich zu verkriechen. Ich bin gezwungen, zu kämpfen, um nicht wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Trotz unglaublicher Müdig- und Traurigkeit gilt es, aktiv zu werden.

Schatz meinte gestern, „Wer weiß, welchen Sinn das alles später bekommt?!“ Der Sinn erschließt sich mir dann nie, wenn es gerade soweit ist. Da erscheint sogar absolut alles völlig sinnlos und ohne Perspektive. Ich stelle in diesem Moment alles in Frage, was es jemals gab und geben wird. Das ist gefährlich. Einzig das feste Wissen, dass es einen Sinn ergibt, der sich später erschließt, hält den seidenen Faden zusammen.

Ich schaffe das schon, keine Frage. Ich überlebe alles, ebenfalls keine Frage. Und ich erreiche alles, was ich erreichen will, auch das steht fest. Doch in diesen Momenten macht es keinen Sinn, weiter zu machen. „Für wen?“, war gestern Abend meine Frage an mich. „Für mich?“, lautete meine Gegenfrage an mich. Und es gab keine Antwort.

Das macht diejenigen, die mich lieben und mögen, wertlos. Und das darf nicht sein. Die Menschen um mich herum, die mit mir leben, sind das wertvollste, das mir geschieht. Und dafür bin ich dankbar. Das ist etwas, das ich damals nicht hatte, als es am schlimmsten war. Insofern bin ich heute nicht mehr so tief wie damals. Aber das wusste ich ja schon. Dort will ich auch nie wieder hin.

Ich weiß nicht, ob jemand diese Krankheit verstehen kann, der sie nicht erlebt hat. Die Gedankenwelt, die Gefühle sind schwer zu erklären. Die Welt wird grau und der Blick zum Tunnelblick. Die Schultern senken sich, das Gesicht wird zur Maske der Verschlossenheit. Der Rückzug in sich selbst wird außen kaum wahrgenommen, weil die Maske einfach zu professionell ist. Doch innen tobt das brüllende verzweifelte Tier neben dem weinenden und zusammen gekrümmten Kind. Das verursacht den zerreißenden Schmerz, der ein Ventil sucht und nicht findet. Die Folgen liest man oft in der Presse, wenn wieder einmal jemand gefunden wurde.

Nein, dort komme ich nicht mehr hin. Doch gestern Abend wusste ich, wie nahe ich noch immer daran bin. Vielleicht ist es mir mit diesem Text gelungen, wenigstens einen Menschen gegenüber einem anderen unentdeckten Kranken zu sensibilisieren. Auch das ergäbe schon einen Sinn.

4 Gedanken zu „Ich habe gestern Abend gemerkt …“

  1. Lieben Dank für Eure Kommentare!

    Das halbwegs offene Schreiben darüber, was ich fühle und denke, ist für mich pure Therapie. Ich muss es loswerden und dafür reichen Gespräche nicht, wie ich in der Vergangenheit feststellen musste.

    Schließlich hat es auch noch einen kleinen missionarischen Effekt, indem es vielleicht einem Menschen hilft, sich in Therapie zu begeben.

  2. Ich kann das alles nachvollziehen. Der Text hätte von mir stammen können. Klar, es gibt solche Phasen (zum Glück) wo man sich gesund fühlt. Dann wird mir klar, wie ich immer sein möchte. Aber die dunklen Wolken drängen sich immer wieder auf und es ist ein täglicher Kampf dagegen anzugehen. Es liegt letztlich in der Akzeptanz, wenn man einmal begriffen hat, das man krank ist, wird es etwas leichter damit umzugehen. Ich habe durch die Psychotherapie viel über mich selbst erfahren. Vieles was früher, auch in der Kindheit, schief gelaufen ist hat mich letztlich in diese Situation gebracht. Man kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Leider. Dann würde auch ich einiges anders machen.
    LG

  3. DU BIST KLASSE, DANKE, DASS DU ES AUFSCHREIBEN KANNST!
    Ich habe da meine Eckpfeiler (Sichtbare und Gedankliche), um mich "wieder einzukriegen". Aber bei mir wurde nie was "diagnostiziert"….. Aber die Erkenntnis, das vieles von meiner Mutter auf mich überschwappte, lässt mich die Zähne zusammenbeissen, weil die Gene meines Vaters auch da sind…die mir helfen…. Im Anschluss an den SkiUnfall wurde die Situation so prekär, da nur geröntgt und sonst weiterlaufen und arbeiten lassen, dass ich furchtbare Situationen hatte, wie ich las, waren das Angst- und Panikattacken, die so schmerzhaft waren, dass ich dachte, das meine Stunde geschlagen hat….. Und keine Hilfe da und keine Kraft, sich zu wehren, zu einem anderen Arzt zu gehen, zu kämpfen…..für sich…. Nein, lieber Carsten… es ist die unendliche Geschichte ….und ich habe nur festgestellt, dass die Menschen, die solche Gefühle erleben, doch die wertvollsten und stärksten sind…..glg Brigida

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert