Morgens um 8 Uhr sind wir mit drei Mitarbeitern (außer mir noch der Leiter und eine der beiden weiblichen Mitarbeiter) und 24 Kindern gestartet. Zu Fuß und mit dem Begleitbus hatten wir das Camp unseres Guides auf dem Nachbarcampingplatz aufgesucht und erhielten dort unsere erste Einweisung und die Regeln für das Canyoning. Beim Canyoning wird man in Neoprenanzüge eingekleidet, erhält Klettergurtzeug, einen Helm und eine sog. "Windel", den Kunststoffschutz für den Anzug am Hinterteil. Diese Windel sollte sich später auch als bitter nötig herausstellen. Ebenso wie der Helm.
Der Neo mußte eng anliegen, damit er seine volle Wirkung entfalten konnte. Es dringt zunächst Wasser in den Anzug ein, das durch die Körperwärme eine wärmespeichernde Schicht zwischen Anzug und Körper bildet. Damit ist man vor dem Auskühlen geschützt und wir konnten bequem die vollen 7 Stunden im 8 bis 14 Grad kaltem Wasser des Flusses bleiben.
Nach dem Einkleiden und wieder Auskleiden mußte von jedem Teilnehmer die Verpflichtungserklärung zum Gehorsam und der Haftungsausschluß unterschrieben werden. Dann fuhren wir in drei Kleinbussen etwas mehr als 1,5 Stunden Richtung Bastia zum Treffpunkt. Über eine Straße, deren unbefestigter Rand direkt in den Canyon abfiel und an der wir selbst einem Fußgänger nicht hätten ausweichen können, fuhren wir zum Umkleide- und Startplatz. Ich hatte die seltene Ehre, den alten VW-Bus des Guides zu fahren. Ohne Servolenkung auf Korsika. Den ersten Muskelkater hatte ich dann schon am Startplatz 🙂
Unter dem Neoprenanzug behielten wir Badehose bzw. Bikini an und auch die festen Schuhe und Socken blieben an den Füßen. Für mich gab es zusätzlich noch eine wasserdichte Dose für die Kamera und einen Rucksack dafür. Damit waren wir dann startbereit und marschierten ein kurzes Stück in Richtung der Einstiegsstelle.
Diese war dann am Wegrand schnell zu übersehen und nicht breiter als ein winziger Ziegenpfad. Mein erstes Klettern durch die Macchia von Korsika und damit die ersten blutenden Wunden durch Rosen- und Brombeerdornen gab es kostenlos. Steil ging es bergab und es konnte für mich keinen Gedanken an Höhenangst geben, obwohl es dramatisch steil und tief abwärts gehen würde, wenn ich ins Rutschen käme. Doch da es sogar die Kinder vor mir geschafft hatten, konnte ich unsportlicher Dicker wohl recht sicher sein, es auch zu schaffen. Wir befanden uns auf etwa 1.500 m Höhe und erreichten dann den Flußlauf mit großen rundgewaschenen Felsen und superklarem Wasser, von dem ich später reichlich zwangsweise trinken sollte.
Die ersten Schritte ins eiskalte Wasser waren sogar angenehm. Bis das Wasser in die Schuhe lief und das ungewöhnliche Gefühl von völliger Nässe an den bekleideten Füßen bewußt wurde. Jetzt begann das Abenteuer! Wir kletterten über Felsen, zwängten uns zwischen großen und kleinen Steinen und Geröllbrocken hindurch und rutschten kleine und größere Wasserfälle hinunter.
Es konnten Sprünge aus bis zu 9 Metern Höhe gewagt werden, die allerdings auch umgangen werden durften und konnten. Ich habe mich durch kleine Höhlen voller Wasser gezwängt und natürlich Panik gehabt. Die Panik galt es zu überwinden und ich bin stolz darauf, es geschafft zu haben!
Abenteuerlich und für mich völlig neu waren die Abseil-Aktionen durch Felsspalten in Wasserfälle hinein.
Beim ersten Durchtauchen eines Wasserfalls hatte ich die Orientierung verloren und mußte mich wegen aufkommender Panik wirklich sehr zusammenreissen. Vor dem zweiten Wasserfall hatte ich dann den Guide um eine Beschreibung der Höhle hinter dem Fall gebeten und seine Hilfe hatte mir dann sehr gut getan. Den zweiten Durchgang habe ich dann erheblich ruhiger hinter mich gebracht.
Es gab eine Tauchstelle zwischen Felsen zu überwinden und nahezu alle Kinder sind die zwei Meter Tauchstrecke im Sog des Flusses unter den Felsen hindurchgetaucht. Bewunderswert!
Eine lange Doppelrutsche aus ausgewaschenen Steinen war das Spaß-Highlight und zwischendurch machte sich dann doch langsam die Erschöpfung breit.
Ich kann nicht sagen, wie lang die Strecke im Fluß war, doch es reichte aus, durch Klettern, Schwimmen, Abseilen, Tauchen und Rutschen dem Punkt der totalen Erschöpfung sehr nahe zu kommen. Dennoch war immer wieder einen Moment Zeit, die unglaublich beeindruckende Landschaft zu betrachten, die in all der gewaltigen Natur keineswegs erdrückend wirkte. Der kraftvolle Frieden, den die Berge ausstrahlen und die ständige Musik aus Zirpen, Zwitschern und Rauschen kann Menschen zum Verstummen bringen. Oft ist es mir, auch trotz der Anstrengung bei dieser Wanderung, sowohl nach lauthals Freude singen und nach erfurchtsvollem Schweigen und Genießen zumute gewesen.
Zum Schluß der Wanderung haben wir uns im Fluß entkleidet und bis auf Badezeug und nassem Schuhwerk alles gewaschen und gebündelt den Hang wieder hinaufgetragen. Ein kurzer Fußmarsch brachte uns zu den Fahrzeugen, die wir wohlweißlich bereits nach unten an den ersten TReffpunkt gefahren hatten.
Ich war erledigt. Voller Muskel- und Wundschmerzen, mit Schrammen an Armen und Beinen und lauter fiesen Prellungen an den Knien. Etwa 250.000 Steine hatten Kontakt mit meinen Knien und jedes Mal waren sie härter 🙂
Ich vermochte kaum, meine trockene Kleidung anzuziehen und habe mit Heißhunger meine mitgebrachten Baguette-Brote verzehrt und eine Flasche Wasser getrunken. Und Letzteres sogar, obwohl ich reichlich oft unverhofft in plötzlich tiefes Wasser gefallen war und dieses unweigerlich kosten mußte.
Nach erneuten 1,5 Stunden Fahrt ohne Servolenkung konnten wir dann im Camp des Guides unsere Ausrüstung abgeben und dann Richtung eigenen Platz fahren.
Zusammenfassend will ich sagen, daß eine solche Tour ein grandioses Erlebnis für Trainierte und Untrainierte ist. Es gilt, Ängste zu erleben und zu überwinden. Die Möglichkeiten, dort zu Tode zu kommen, sind vielfältig. Doch bedachtsames und vorsichtiges Handeln, sowie das Beachten der Anweisungen des Guides verhindern das Schlimmste. Kleinere Verletzungen wie meine Prellungen und Stauchungen, sowie die Schnitte durch das Gestrüpp, sollten hingenommen und akzeptiert werden können. Sie sind der Preis für Ungeschicktheit und Unsportlichkeit.
Sollte ich noch einmal die Chance haben, eine solche Tour zu machen, so würde ich es wollen!
Unser Guide bezeichnete dieses Abenteuer als "eine der leichtesten und schönsten" seiner Angebotspalette. Der Preis betrug lediglich durchschnittlich sensationelle 35 Euro pro Person im Gruppentarif.