Ich habe mich gestern daran gewagt, meine alten Fotoalben aufzulösen. Fotoalben sind diese dicken Wälzer, in die man früher gedruckte Fotos eingeklebt hat. Davon besaß ich fünf Stück, die ich sogar nach Themen sortiert befüllt hatte. Das war mir schon entfallen. Die Bilder waren inzwischen leider alle mit einem nicht unerheblichen Rotstich versehen, obwohl sie dunkel und trocken in ihren Alben gelagert waren. Die vor einiger Zeit lose in einem Schuhkarton aufbewahrten Bilder hingegen sind farblich nach wie vor einwandfrei. Am besten erhalten sind tatsächlich die Fotos aus den frühen 60er Jahren. Noch in schwarzweiß, dafür jedoch scharf und kontrastreich, wie für die Ewigkeit geschaffen. Offenbar ist die Qualität zwischen den 60er der Nachkriegsaufbauzeit und den 80ern, der Zeit des Beginns der Konsum-ohne-Grenzen-Gesellschaft doch deutlich gesunken. Doch zurück zu den Alben.
Ein Album war voller Bilder aus meiner Zeit beim Deutschen Roten Kreuz, oben in der Lüneburger Heide. Immerhin habe ich in diesem Verein (in drei Teilvereinen) mehr als 20 Jahre meiner Freizeit, in hauptamtlichen Urlaubs- und Krankenvertretungen und in der Notfallrettung verbracht. Das waren schon anstrengende und schöne Zeiten, an die ich heute mit dem romantischen Blick aus der Ferne gern zurückblicke. Den damals ständigen Zank und Streit mit doofen Vereinsleuten schiebe ich gern in den Hintergrund der Erinnerungen. Zum Erhalt aussortiert habe ich wenige Bilder, die mich zeigen und zwei Bilder meines ersten Krankenwagens, den ich gern gefahren habe. Das war ein VW-Bus T3 als Zwei-Tragen-KTW.
Ein weiteres Album beinhaltete Bilder vom ersten und einzigen Urlaub mit einer Freundin in den frühen 80ern in Österreich, gemeinsam mit ihrer Mutter. Bis auf ein Bild eben jener Freundin habe ich alles entsorgt. Ich werde diesen Urlaubsort wohl in diesem Leben nicht mehr aufsuchen und auch die Freundin nicht. Die ist inzwischen 76 Jahre alt und wer weiß, ob sie noch lebt. Manchmal habe ich noch Gedanken daran, weil sie die erste richtige Freundin war und wir immerhin nicht ganz vier Jahre miteinander verbrachten. Aber was hat das heute noch für eine Bedeutung?
Noch ein Album enthielt gemischte Bilder aus wilden Fotografierereien, die ich bis auf zwei Bilder mit mir entsorgt habe. Mit den Menschen, die abgebildet sind, habe ich seit mehr als 40 Jahren keinen Kontakt mehr und ich weiß teilweise nicht einmal mehr die Namen. Also abschließen und loslassen.
Dann war da noch das Album mit den Kinderbildern in schwarzweiß und farbig. Die habe ich fast alle dem Album entnommen und werde sie wohl auch digitalisieren. Wobei auch da ein Jugendfoto von mir dabei war. Es stammt von einer Silvesterparty zum Jahreswechsel 1977/1978. Ich fand Fotos von mir doof und wir hatten dem damals üblichen Alkohol schon gut zugesprochen. Mehr sollte man dazu nicht sagen, abgesehen von der späten 60er und frühen 70er Jahre-Möblierung im Hintergrund vielleicht.

Schon zu einem früheren Zeitpunkt meiner vielen Entrümpelungsaktionen hatte ich Fotoalben aufgelöst und einen großen Teil der enthaltenen Grausamkeiten entsorgt. Dennoch habe ich mich bei allen Fotos immer wieder neu den folgenden Fragen gestellt:
- Kennst du die Menschen im Bild noch?
- Hat das Foto einen wirklichen Erinnerungszweck auch noch in 10 Jahren?
- Wem möchtest du später dieses Bild zeigen oder schenken?
- Ist der abgebildete Gegenstand für die Nachwelt interessant?
Viermal nein bedeutet, dass das Bild entsorgt werden muss. Selbstverständlich nehme ich mir vor, meine Fotos noch zu digitalisieren. Meine externe Festplatte hat schon einen großen Teil früherer Bilder von diversen Kameras und Handy, aber auch bereits gescannte Fotos geordnet im Speicher lagern. Im Grunde müsste ich auch hier mal durchsehen, was nach den obigen Kriterien tatsächlich noch Bedeutung hat. Doch da stoße ich immer wieder an meine Grenzen der Geduld und Überwindung. Abgesehen davon besitze ich noch Ordner auf dieser Festplatte, die ich nicht anschauen möchte, weil ich weiß, dass die Erinnerungen Schmerzen bereiten. Einige Verluste und die eine und andere Wut sind noch nicht vollständig überwunden. Das braucht Zeit und Verarbeitung durch noch einige meiner Kurzgeschichten.
Übrig geblieben ist jetzt nur ein voller Schuhkarton. Der lagert jetzt im Büroschrank und wartet auf die nächste Aktion. Oder auf das Herausholen und den Enkelkindern zeigen. Frei nach den Worten „Schau mal, das war mein Hund, meine Oma, ich als Baby, mein erstes Auto, usw.“. Und irgendwann, wenn ich gestorben bin, wird jemand diesen Schuhkarton in den Müll werfen und was bleibt, ist dann nur noch die Erinnerung an mich als verblassende Bilder im Kopf, manchen blöden Spruch und ein Gefühl.

